Daily Fratze: Zwischen Narzissmus und Exhibitionismus, Spaß und Selbstfindung

pages/df_essay_09_2005  

DailyFratze, warum mache ich das? Das erste Mal kam mir die Idee Anfang 2004, als ich seit einigen Wochen sicher war, dass ich mir die Haare wieder wachsen lassen wollte; DailyFratze quasi als Dokumentation des ganzen. Damals verlor ich allerdings recht schnell den Spaß daran, warum genau, kann ich gar nicht mehr sagen. Vielleicht, weil mir unter anderem die "Öffentlichkeit"fehlte. Vielleicht hätte ich nur einmal googlen sollen, ich denke, ich hätte recht schnell andere, ähnliche Projekte gefunden.

Über MC Winkels Webseite ( Link fand ich Anfang August 2005 viele ähnliche Projekte, insbesondere das von Pete ( Link. Letzteres fand ich inspirierend, da Pete darauf verzichtet, jeden Tag nur seinen Kopf in einer möglichen ähnlichen Pose zu fotografieren sondern sich und sein Umfeld gänzlich in Szene setzt. Auf den ersten Blick für mich erst einmal lustig, auf den zweiten eine Art Tagebuch; ich nehme an, heute würde man vielleicht auch picture blog sagen.

Ich schreibe nun schon seit einigen Jahren Tagebuch und bin über jeden Tag froh, den ich so festgehalten habe. Viele dieser Tage habe ich durch Bilder illustriert und die Idee, jeden Tag durch ein einzelnes, für sich stehendes Bild festzuhalten, dass den Kontext und die Stimmung des Tages festhält, ist eine logische Fortsetzung.

Natürlich spielt bei der ganzen Idee auch und gerade Narzissmus und das Interesse am eigenem Äußeren eine entscheidende Rolle. Das ganze gepaart mit ein wenig Exhibitionismus – meines Erachtens eh ein notwendige Grundlage für eine private Homepage oder ein privates Blog – und schon kommt so etwas dabei raus; aus meiner Sicht eine wesentlich gesündere Version von Selbstdarstellung und Präsentation als die Prostitution in einschlägigen Fernsehsendungen wie Star Search und Deutschland sucht den Superstar, wo es letzten Endes nur darauf ankommt, entweder jemanden bis auf die Knochen lächerlich zu machen oder aber soweit möglich Geld mit jemanden zu machen, bis der jenige Mensch ausgebrannt und leer ist. DailyFratze im Speziellen und das Internet im Allgemeinen sind wenigstens vom Grundgedanken her bidirektional und man kann mit direkten Rückmeldungen und Gesprächen rechnen.
Ich sehe keinen Grund, Narzissmus als egozentrisch oder schädlich oder sonst wie als abartig abzutun. Im Gegenteil. Heutzutage ist es mehr denn je wichtig zu wissen, wer man ist, für was man einsteht und bei aller Flexibilität in der (Arbeits)Welt man selber zu bleiben.
Man betrachte ein Blog wie Dark Obsession ( Link, in dem ein Paar seine Liebe der Welt präsentiert. Allerdings nicht in sanften Pastelltönen mit Kerzenlicht, sondern ungeschönt sexuell, hart, begierig. Ohne da jetzt zuviel interpretieren zu wollen: Da haben sich zwei Menschen gefunden und lieben gelernt und sind froh, glücklich und auch stolz drauf und präsentieren sich damit; ursprünglich war das Blog als virtuelle Brücke in einer Fernbeziehung ausgelegt. Die beiden leben ihr Leben auf ihrem Weg und sind glücklich damit, ihr Ding durchzuziehen und lassen andere durch ihren Exhibitionismus auch noch teilnehmen, an ihrer Erotik und ihrer Liebe ( Link.

Eine weitere, vielleicht abwegige Form von Narzimuss oder besser Selbstdarstellung: Die Webseite bzw. die Technik dahinter selber. Ich bin leider nicht in vielen Dingen kreativ. Eines davon ist Programmieren. Es macht mir Spaß, ich kann mich in gewisser Weise dadurch ausdrücken und kann etwas neues schaffen. Natürlich nicht vergleichbar mit Musizieren oder Malen, aber für mich persönlich hat es einen ähnlichen Stellenwert. Es macht mich glücklich, etwas selbst geschaffenes in seiner (für mich) perfekten Form vor sich zu sehen, an dem andere vielleicht auch noch Spaß haben bzw. einen Nutzen ziehen können.
Viele andere, insbesondere handwerkliche Berufe, machen es da einfacher, anderen erklären zu können, was man denn macht... Viele elegant gelöste Dinge liegen halt im Verborgenen und drängen sich nicht auf.

Selbstfindung: In meiner Testversion des Projektes finden sich noch weitere Fotos aus vergangenen Jahren (leider natürlich nicht vollständig täglich) und die Entwicklung ist frappierend. Ich habe seit jeher gerne mit allen möglichen Bärten (soweit ich den Bartwuchs habe...) experimentiert und einige Male mussten auch die Haare dran glauben und alleine das wäre es Wert gewesen, zu dokumentieren, ganz abgesehen vom natürlichen “Entwicklungsprozess”. Man sieht mir die 5 Kilo an, die ich zugenommen habe, seitdem ich 20 war. Und das ist nur das weitestgehend Oberflächliche, was man auf dem ersten Blick sieht. Zusammengefasst kann ich sagen, mich erinnert dieses Projekt an meine eigene Vergänglichkeit. An das, was und wie man war, an das, wohin man sich vielleicht entwickelt und insbesondere daran, dass die meisten natürlichen Wachstums- und Entwicklungsprozesse endlich sind.
Gerade unter diesem Blickpunkt den Zeitpunkt, den Ort und die Stimmung für ein Bild auszuwählen kann für sich alleine gesehen schon ein kurzer Moment von Kontemplation und Meditation sein und als solcher die investierte Zeit wert sein.

Ich habe keine Idee, wie lange ich das durchhalten werde, aber im Moment macht mir es mir großen Spaß, das Foto zu finden, was den jeweiligen Tag am besten repräsentiert, was mich für meinen Geschmack in diesem Augenblick am besten in Szene setzt und ich denke, das ganze könnte noch spannend werden.
In diesem Sinne schließe ich fürs Erste mit den Worten von Freddie Mercury: “Don't take offence at my innuendo”. Auf Kommentare oder Diskussion bin ich gespannt.

Erstmalig am 15. September 2005 auf Planet-Punk.de veröffentlicht.

Deine Sitzung ist ungültig, bitte melde Dich neu an oder lade die Seite neu.